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  • AutorenbildThierry Kramis

Einleitung GV zum Thema Urnenabstimmung statt Gemeindeversammlung

Aktualisiert: 20. Jan. 2023

Geschätzte Schongauerinnen und Schongauer


Es ist nun fast 52 Jahre her, seit in der Schweiz das Frauenstimmrecht eingeführt wurde. Ich denke wir sind uns alle einig, dass das ein unabdingbarer Schritt für die Schweiz war. Fakt ist allerdings: die Schweiz war spät dran. Finnland beispielsweise hatte das Frauenstimmrecht bereits 1906. Die Schweiz hat also 65 Jahre länger gebraucht als andere Staaten in der Welt. Rückblickend mit hoher Wahrscheinlichkeit unverständlich. Zu der Zeit jedoch für viele eine Erschütterung des politischen Verständnisses und mit zahlreichen Vorurteilen behaftet, weil damit vorherrschende Gewohnheiten massiv verändert wurden.


Die heutige Abstimmungsfrage «Wechsel der Gemeindeordnung hin zur Urnenabstimmung» kann in der Grösse der Bedeutung mit der damaligen Abstimmung selbstverständlich nicht verglichen werden. Bedeutend ist sie aber allemal. Und behaftet mit Vorurteilen ebenfalls. Gewohntes wird verändert und das fällt uns allen bekannterweise schwierig. Realität ist aber auch heute, dass sich die Bedürfnisse der Gesellschaft verändert haben. Die Pandemie hat Strukturen unserer Gesellschaft in kürzerer Zeit stärker verändert als die industrielle Revolution seiner Zeit. Das stellt uns vor enorme Herausforderungen, bietet aber auch riesige Chancen. Die Frage ist nun, wie wir als Gesellschaft mit diesen Veränderungen umgehen. Stellen wir uns auf den Standpunkt, dass es so laufen muss wie es immer lief oder lassen wir Veränderung zu. Entscheiden wir uns ganz bewusst, einen Schritt zu tun und die Zukunft mitzugestalten oder schielen wir mit unserer Argumentation nur auf andere und urteilen, dass wir einen Schritt nur dann tun, wenn es die anderen auch tun. Dann drohen wir von der Entwicklung überrollt zu werden. Wir als Gemeinderat glauben, dass es wichtig ist mitzugestalten – das bedeutet in keiner Weise Vergangenes gering zu schätzen – es bedeutet aber auch nicht still zu stehen abzuwarten und sich überrollen zu lassen. Das ist insbesondere für eine kleine Gemeinde sehr wichtig.

Mit der Erweiterung Mülihalde und Mülirain hat der damalige Gemeinderat und das Dorf bereits einmal visionäres geschaffen – dies in Erkenntnis der Tatsache, dass es eine Herausforderung sein würde, aber ohne nicht ginge. Die Rechnung ging auf und das ist gut so.


Nun gilt es die nächsten Herausforderungen mutig anzugehen und die Komfortzone erneut zu verlassen, um den Weg für künftige Generationen zu bereiten. Die uns vorliegenden Zahlen und Fakten deuten darauf hin, dass dies notwendig ist. Deswegen stellen wir Euch heute die Frage zu einem Systemwechsel hin zur Urnenabstimmung. Bereits heute ist statistisch nachweisbar, dass die Stimmbeteiligung an Gemeindeversammlungen auf unter 10% gesunken ist, jene von Bund und Kanton liegen bei knapp 60%. Die Bevölkerung, werte Anwesende, ist heute in Job und Familie involvierter als früher. Zu argumentieren, dass Menschen, die sich nicht die Zeit nehmen würden an eine Gemeindeversammlung zu kommen auch nichts zu sagen hätten greift zu kurz. Zu viele Beispiele beweisen das Gegenteil: jemand ist im Ausland, arbeitet Schicht, passt auf die Kinder auf oder ist anderweitig involviert. Dennoch sind diese Menschen Bestandteil unserer Bevölkerung. Sie wollen Ihre Stimme gehört wissen und Ihre Meinung losgelöst von Ort und Zeit abgeben können.

Wenn die Pandemie eines gezeigt hat, dann dies: das ist möglich und führt nicht zu einer Verwässerung der Demokratie.


Denn politische Mitwirkung ist viel mehr als die Teilnahme an einem Anlass – es ist konstantes Engagement. So äusserte sich ein Redaktor des Seetaler Boten in seinem Argumentarium Contra Urnenabstimmung zwar positiv, dass Anträge an einer Gemeindeversammlung viel niederschwelliger möglich seien, folgert jedoch abschliessend, dass Demokratie kein Fast Food sei. Dem stimmen wir zu: Engagements weit über eine Gemeindeversammlung hinweg sind wichtig. Dass die Redaktoren und nicht die Bevölkerung von Schongau den Artikel Pro/Contra Urnenabstimmung geschrieben haben, beweist jedoch, dass wir noch Arbeit zu leisten haben.

Vor allem aber müssen wir über strategische Themen entscheiden, die weit über Finanzen und Generationen hinausgehen. Demnach müssen wir uns frühzeitig und gegenseitig unterhalten in welche Richtung es gehen soll. Nicht erst zum Schluss, wenn es zur Abstimmung kommt, wo es oft zu spät ist und bereits viel Arbeit investiert wurde. Kommissionen wie jene der Ortsplanungsrevision zeigen, dass dies geht. Lasst uns solche Instrumente stärker nutzen und lasst uns auch jüngere Generationen in diese Entscheidungen einbeziehen.


Das erfordert jedoch eine Anpassung des heutigen politischen Verständnisses, es erfordert eine Anpassung des Instruments Gemeindeversammlung. Wer nun aber fordert, dass nur wichtige Themen an die Urne kämen, der führt seine eigenen Argumente in die Irre. Denn es würde nichts anderes bedeuten, als dass die Urne tatsächlich ein wichtiges Instrument sei und genau dann zum Einsatz kommt, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen, nichts anderes argumentiert der Gemeinderat.


Zurückkommen auf die wegweisende Entscheidung vor 50 Jahren möchte ich Euch motivieren auch heute einen Schritt in die Zukunft zu wagen und die Chancen vor die Risiken zu stellen. Und vor allem möchte ich für Gleichheit plädieren: Gleichheit für Jung und Alt, für Neuzuzüger und Alteingesessenen, für Abwesende und Anwesende.

Lasst uns heute und auch künftig mit einem Grundverständnis von Mitgestaltungswillen agieren. Und lasst uns künftig bei Veränderungen noch enger zusammenarbeiten. Denn solche Veränderungen erwarten uns in den nächsten Jahren einige. Vom Dialog hält uns auch die Abstimmung an der Urne nicht ab, ganz im Gegenteil.

Dann bin ich überzeugt, dass wir künftig sagen können: Schongau war nicht der Frosch, der im wärmer werdenden Wasser sitzen blieb: Schongau war der Frosch, der den Sprung geschafft hat.


Das schulden wir künftigen Generationen und uns selber.

Danke.

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